Religion und Psychiatrie treffen sich exakt an dieser Schnittstelle intensiver religiöser Erfahrung. Hier liegt ihre große Gemeinsamkeit. Jene aufwühlenden Formen des Religiösen finden sich in vielfältigen Varianten, aber in signifikanter Häufigkeit gerade im psychotischen Erleben. Wir finden sie auch bei Melancholikern und Manikern, vor allem aber im Umfeld der sog. Schizophrenie. [...]
In der Initialphase der schizophrenen Entwicklung imponieren im Gegenteil oft gerade Erlebnisse von Erhabenheit, Freiheit, Einheit und Allverbundenheit. Auffallend häufig begegne ich in der Psychiatrie Menschen, die diese kolossale Zusammengehörigkeit von allem, was ist, ekstatisch durchlebt haben. […]
Allerdings kann diese initiale Beglückung sehr rasch umschlagen in das Gefühl völliger Verzweiflung und Verworfenheit. Ähnlich wie die mystische ist die schizophrene Erfahrung zerbrechlich. Niemals ist sie dauerhafter Besitz. Bildlich gesprochen: Wo Engel sich versammeln, sind auch die Dämonen nicht fern. Irgendwo im Untergrund der Erfahrung lauert die Angst, dass das grandiose Erlebnis einen unbezahlbaren Preis hat. Wer den Himmel »gekostet« hat, wer Gott »geschaut« hat, ist potenziell ein Todgeweihter.
Lebt Gott in der Psychiatrie? - Ronald Mundhenk