Plato sagt öfter, daß die Menschen nur im Traume leben, der Philosoph allein sich zu wachen bestrebe.
Die Welt als Wille und Vorstellung
[Es hat kein Genie ohne eine Beimischung von Wahnsinn gegeben.] Plato drückt es, im oben angeführten Mythos von der finstern Höhle (de Rep. 7), dadurch aus, daß er sagt: Diejenigen, welche außerhalb der Höhle das wahre Sonnenlicht und die wirklich seienden Dinge (die Ideen) geschaut haben, können nachmals in der Höhle, weil ihre Augen der Dunkelheit entwöhnt sind, nicht mehr sehn, die Schattenbilder da unten nicht mehr recht erkennen, und werden deshalb, bei ihren Mißgriffen, von den Andern verspottet, die nie aus dieser Höhle und von diesen Schattenbildern fortkamen.
Die Welt als Wille und Vorstellung
Die Unfälle, jeder Art und Größe, wenn sie ihn auch schmerzen, werden ihn nicht mehr wundern; da er eingesehn hat, daß gerade Schmerz und Trübsal auf den wahren Zweck des Lebens, die Abwendung des Willens von demselben, hinarbeiten.
Die Welt als Wille und Vorstellung
Ein solcher Mensch, der, nach vielen bitteren Kämpfen gegen seine eigene Natur, endlich ganz überwunden hat, ist nur noch als rein erkennendes Wesen, als ungetrübter Spiegel der Welt übrig. Ihn kann nichts mehr ängstigen, nichts mehr bewegen: denn alle die tausend Fäden des Wollens, welche uns an die Welt gebunden halten, und als Begierde, Furcht, Neid, Zorn, uns hin- und herreißen, unter beständigem Schmerz, hat er abgeschnitten. Er blickt nun ruhig und lächelnd zurück auf die Gaukelbilder dieser Welt, die einst auch sein Gemüth zu bewegen und zu peinigen vermochten, die aber jetzt so gleichgültig vor ihm stehn, wie die Schachfiguren nach geendigtem Spiel, oder wie am Morgen die abgeworfenen Maskenkleider, deren Gestalten uns in der Faschingsnacht neckten und beunruhigten. Das Leben und seine Gestalten schweben nur noch vor ihm, wie eine flüchtige Erscheinung, wie dem Halberwachten ein leichter Morgentraum, durch den schon die Wirklichkeit durchschimmert und der nicht mehr täuschen kann: und eben auch wie dieser verschwinden sie zuletzt, ohne gewaltsamen Uebergang.
Die Welt als Wille und Vorstellung
Et is similis spectatori est, quod ab omni separatus spectaculum videt. [Und er gleicht einem Zuschauer, weil er von allem getrennt das Schauspiel ansieht] Oupnekhat, Vol. I, p. 304.
Die Welt als Wille und Vorstellung
Hinter unserm Daseyn nämlich steckt etwas Anderes, welches uns erst dadurch zugänglich wird, daß wir die Welt abschütteln.
Die Welt als Wille und Vorstellung
[Es ist nicht zu sehen: es sieht alles; es ist nicht zu hören: es hört alles; es ist nicht zu wissen: es weiß alles; und es ist nicht zu erkennen: es erkennt alles. Außer diesem Sehenden, Wissenden, Hörenden und Erkennenden gibt es kein anderes Wesen.] – Oupnekhat. Vol. I, p. 202. – Daher also giebt es kein Erkennen des Erkennens; weil dazu erfordert würde, daß das Subjekt sich vom Erkennen trennte und nun doch das Erkennen erkennte, was unmöglich ist.
Über die vierfache Wurzel vom zureichenden Grunde
Inzwischen heißt ein Optimist mich die Augen öffnen und hineinsehn in die Welt, wie sie so schön sei, im Sonnenschein, mit ihren Bergen, Thälern, Ströhmen, Pflanzen, Thieren u.s.f. – Aber ist denn die Welt ein Guckkasten? Zu sehn sind diese Dinge freilich schön; aber sie zu seyn ist ganz etwas Anderes.
Die Welt als Wille und Vorstellung
Die Wahrheit ist keine Hure, die sich Denen an den Hals wirft, welche ihrer nicht begehren: Vielmehr ist sie eine so spröde Schöne, daß selbst wer ihr Alles opfert noch nicht ihrer Gunst gewiß seyn darf.
Die Welt als Wille und Vorstellung
Denn wer den Ernst gekostet hat, dem wird der Spaaß, zumal von der langweiligen Art, nicht mehr munden.
Die Welt als Wille und Vorstellung
Diesem allen zufolge steht die Geselligkeit eines jeden ungefähr im umgekehrten Verhältnisse seines intellektuellen Wertes; und »er ist sehr ungesellig« sagt beinahe schon »er ist ein Mann von großen Eigenschaften.«
Aphorismen zur Lebensweisheit
Ganz er selbst sein darf jeder nur so lange er allein ist: wer also nicht die Einsamkeit liebt, der liebt auch nicht die Freiheit: denn nur wenn man allein ist, ist man frei: Zwang ist der unzertrennliche Gefährte jeder Gesellschaft, und jede fordert Opfer, die umso schwerer fallen, je bedeutender die eigene Individualität ist. Demgemäß wird jeder in genauer Proportion zum Werte seines eigenen Selbst die Einsamkeit fliehen, ertragen, oder lieben. Denn in ihr fühlt der Jämmerliche seine ganze Jämmerlichkeit, der große Geist seine ganze Größe, kurz, jeder sich, als was er ist.
Aphorismen zur Lebensweisheit
Dem intellektuell hochstehenden Menschen gewährt nämlich die Einsamkeit einen zwiefachen Vorteil: erstlich den, mit sich selber zu sein, und zweitens den, nicht mit andern zu sein.
Aphorismen zur Lebensweisheit
Einsamkeit ist das Los aller hervorragenden Geister: sie werden solche bisweilen beseufzen; aber stets sie als das kleinere von zwei Übeln erwählen.
Aphorismen zur Lebensweisheit
Daher kommt es, daß wir oft vom Entstehn unserer tiefsten Gedanken keine Rechenschaft geben können: sie sind die Ausgeburt unsers geheimnißvollen Innern. Urtheile, Einfälle, Beschlüsse steigen unerwartet und zu unserer eigenen Verwunderung aus jener Tiefe auf. […] Das Bewußtsein ist die bloße Oberfläche unsers Geistes, von welchem, wie vom Erdkörper, wir nicht das Innere, sondern nur die Schaale kennen.
Die Welt als Wille und Vorstellung
Die letzten Grundgeheimnisse trägt der Mensch in seinem Innern, und dieses ist ihm am unmittelbarsten zugänglich; daher er nur hier den Schlüssel zum Räthsel der Welt zu finden und das Wesen aller Dinge an Einem Faden zu erfassen hoffen darf.
Die Welt als Wille und Vorstellung
[…] als sei unser Intellekt absichtlich bestimmt, uns zu Irrthümern zu verleiten.
Die Welt als Wille und Vorstellung
Aber Optimismus ist, in den Religionen, wie in der Philosophie, ein Grundirrthum, der aller Wahrheit den Weg vertritt.
Die Welt als Wille und Vorstellung
Es giebt nur einen angeborenen Irrthum, und es ist der, daß wir dasind, um glücklich zu seyn.
Die Welt als Wille und Vorstellung
Klopfte man an die Gräber und fragte die Todten, ob sie wieder aufstehn wollten; sie würden mit den Köpfen schütteln. Dahin geht auch des Sokrates Meinung, in Plato's Apologie, und selbst der heitere und liebenswürdige Voltaire kann nicht umhin zu sagen: on aime la vie; mais le néant ne laisse pas d'avoir du bon [Man liebt das Leben; aber das Nichts hat auch sein Gutes: Lettre à Mme la Marquise du Deffand, 1.11.1769]: und wieder: je ne sais pas ce que c'est que la vie éternelle, mais celle-ci est une mauvaise plaisanterie [Ich weiß nicht, was es mit dem ewigen Leben auf sich hat, aber das gegenwärtige Leben ist ein schlechter Spaß: Lettre à M. le Comte d’Argental, 27.7.1968].
Die Welt als Wille und Vorstellung
Viele Wahrheiten bleiben bloß deshalb unentdeckt, weil Keiner Muth hat, das Problem ins Auge zu fassen und darauf los zu gehn.
Die Welt als Wille und Vorstellung
In Folge seiner aber wird die Welt zu einem Spiel mit Puppen, an Drähten (Motiven) gezogen; ohne daß auch nur abzusehn wäre, zu wessen Belustigung: hat das Stück einen Plan, so ist ein Fatum, hat es keinen, so ist die blinde Nothwendigkeit der Direktor.
Die Welt als Wille und Vorstellung
Hierüber darf man sich keine Illusion machen: das Gesetz der Kausalität kennt keine Ausnahmen; sondern Alles, von der Bewegung eines Sonnenstäubchens an, bis zum wohlüberlegten Thun des Menschen, ist ihm mit gleicher Strenge unterworfen. Daher konnte nie, im ganzen Verlauf der Welt, weder ein Sonnenstäubchen in seinem Fluge eine andere Linie beschreiben, als die es beschrieben hat, noch ein Mensch irgend anders handeln, als er gehandelt hat: und keine Wahrheit ist gewisser als diese, daß Alles was geschieht, sei es klein oder groß, völlig nothwendig geschieht. Demzufolge ist, in jedem gegebenen Zeitpunkt, der gesammte Zustand aller Dinge fest und genau bestimmt, durch den ihm soeben vorhergegangenen; und so den Zeitstrohm aufwärts, ins Unendliche hinauf, und so ihn abwärts, ins Unendliche herab.
Die Welt als Wille und Vorstellung
Spinoza sagt (epist. 62), daß der durch einen Stoß in die Luft fliegende Stein, wenn er Bewußtsein hätte, meinen würde, aus seinem eigenen Willen zu fliegen. Ich setze nur noch hinzu, daß der Stein Recht hätte. Der Stoß ist für ihn, was für mich das Motiv, und was bei ihm als Kohäsion, Schwere, Beharrlichkeit im angenommenen Zustande erscheint, ist, dem innern Wesen nach, das Selbe, was ich in mir als Willen erkenne, und was, wenn auch bei ihm die Erkenntniß hinzuträte, auch er als Willen erkennen würde.
Die Welt als Wille und Vorstellung
Unter jenen Nachteilen ist übrigens einer, der nicht so leicht, wie die übrigen, zum Bewußtsein gebracht wird, nämlich dieser: wie durch anhaltend fortgesetztes Zuhausebleiben unser Leib so empfindlich gegen äußere Einflüsse wird, daß jedes kühle Lüftchen ihn krankhaft affiziert; so wird, durch anhaltende Zurückgezogenheit und Einsamkeit, unser Gemüt so empfindlich, daß wir durch die unbedeutendsten Vorfälle, Worte, wohl gar durch bloße Mienen, uns beunruhigt, oder gekränkt, oder verletzt fühlen; während der, welcher stets im Getümmel bleibt, dergleichen gar nicht beachtet.
Aphorismen zur Lebensweisheit
In gleichem Maaße also, wie die Erkenntniß zur Deutlichkeit gelangt, das Bewußtseyn sich steigert, wächst auch die Quaal, welche folglich ihren höchsten Grad im Menschen erreicht, und dort wieder um so mehr, je deutlicher erkennend, je intelligenter der Mensch ist: der, in welchem der Genius lebt, leidet am meisten. In diesem Sinne, nämlich in Beziehung auf den Grad der Erkenntniß überhaupt, nicht auf das bloße abstrakte Wissen, verstehe und gebrauche ich hier jenen Spruch des Koheleth: Qui auget scientiam, auget et dolorem [Wer das Wissen vermehrt, vermehrt zugleich den Schmerz: 1, 18].
Die Welt als Wille und Vorstellung
Wirklich ist jedes Kind gewissermaaßen ein Genie, und jedes Genie gewissermaaßen ein Kind. Die Verwandtschaft Beider zeigt sich zunächst in der Naivetät und erhabenen Einfalt, welche ein Grundzug des ächten Genies ist: sie tritt auch außerdem in manchen Zügen an den Tag; so daß eine gewisse Kindlichkeit allerdings zum Charakter des Genies gehört.
Die Welt als Wille und Vorstellung
Jedes Genie ist schon darum ein großes Kind, weil es in die Welt hineinschaut als in ein Fremdes, ein Schauspiel, daher mit rein objektivem Interesse. Demgemäß hat es, so wenig wie das Kind, jene trockene Ernsthaftigkeit der Gewöhnlichen, als welche, keines andern als des subjektiven Interesses fähig, in den Dingen immer bloß Motive für ihr Thun sehn. Wer nicht zeitlebens gewissermaaßen ein großes Kind bleibt, sondern ein ernsthafter, nüchterner, durchweg gesetzter und vernünftiger Mann wird, kann ein sehr nützlicher und tüchtiger Bürger dieser Welt seyn; nur nimmermehr ein Genie.
Die Welt als Wille und Vorstellung
Der Wille ist das Erste und Ursprüngliche, die Erkenntniß bloß hinzugekommen, zur Erscheinung des Willens, als ein Werkzeug derselben, gehörig. Jeder Mensch ist demnach Das, was er ist, durch seinen Willen, und sein Charakter ist ursprünglich; da Wollen die Basis seines Wesens ist. Durch die hinzugekommene Erkenntniß erfährt er, im Laufe der Erfahrung, was er ist, d.h. er lernt seinen Charakter kennen.
Die Welt als Wille und Vorstellung
Ich hingegen sage: er ist sein eigenes Werk vor aller Erkenntniß, und diese kommt bloß hinzu, es zu beleuchten. Darum kann er nicht beschließen, ein Solcher oder Solcher zu seyn, noch auch kann er ein Anderer werden; sondern er ist, ein für alle Mal, und erkennt successive was er ist. Bei Jenen will er was er erkennt; bei mir erkennt er was er will.
Die Welt als Wille und Vorstellung